Nahe der tschechischen Grenze, in einem kleinen polnischen Dorf, nimmt der Mann, der ein Schloss wieder aufbauen möchte, tief Luft und singt:

„Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt“.

120 Kilometer entfernt, im Ort Bogacicia, sitzen Kinder in deutschen Fußballtrikots auf einem Fußballplatz und spielen Memory, um die deutsche Sprache zu lernen. Zeitgleich organisiert eine Jugendorganisation in Oppeln die nächste Veranstaltung, in der sie ein „modernes Deutschbild“ zeigen möchten. Davon erfährt der achtzigjährige Mann aus Benkowitz nichts, da er beschäftigt ist, ein Kriegerdenkmal in seinem Garten zu errichten.

Ein Besuch bei der deutschen Minderheit in Polen.

Ewig bleiben treu die Alten

Die Geschichte der deutschen Minderheit in Oberschlesien

Die Heimat der heutigen deutschen Minderheit in Polen, Oberschlesien, wurde im Laufe der Geschichte immer wieder heftig umkämpft. Von 1795 bis 1918 lag das Gebiet in preußisch-deutscher Hand. Erst mit Gründung der zweiten Republik Polens wurde Oberschlesien wieder polnisch. Während des zweiten Weltkriegs wurde Oberschlesien von den Nazis besetzt.

1945 wurde Schlesien unter polnische Verwaltung gestellt. Deutschsprachige Inschriften auf Gebäuden, Friedhöfen oder Denkmälern wurden unkenntlich gemacht, deutsche (Familien-)Namen polonisiert und der Gebrauch der deutschen Sprache in der Öffentlichkeit verboten.

Die verbliebenen Deutschen bewohnten hauptsächlich ländliche Gebiete in Oberschlesien. Ab 1951 gab es - nach verfälschten Angaben der polnischen Behörden - keine Deutschen mehr in Polen. In Oberschlesien lebten nach dem Zweiten Weltkrieg noch mehr als 700.000 Deutsche, die damit die Hälfte der Bevölkerung ausmachten.

1991 wurde die Deutsche Minderheit mit ihren etwa 300.000 Mitgliedern offiziell als solche anerkannt. Die meisten von ihnen leben heute im Oppelner Schlesien.

Deutsche Minderheit in Oberschlesien (Volkszählung 2002)

"Bin ich deutsch, polnisch oder schlesisch?"

Antworten von 3 Generationen

Die Erlebnisse in der Kindheit haben Blasius sein Leben lang geprägt. Jahrelang durfte er kein Deutsch in der Öffentlichkeit sprechen und hat dies deshalb heimlich mit seinen Freunden getan.
Als Blasius sich uns vorstellt, sagt er: „Ich bin gebürtig in Benkowitz, früher Berendorf und ich fühle mich hier zu Hause in meiner angestammten Heimat, als Deutscher in Oberschlesien.“
Dass Paul sich als „Deutscher Schlesier“ bezeichnet, hat auch etwas mit dem schlesischen Dialekt zu tun. In Oberschlesien sprachen vor 1945 etwa zwei Drittel der Bevölkerung „Oberschlesisch“. Da die deutsche Sprache nach Kriegsende bis 1990 verboten war, konnte der Dialekt nicht mündlich an weitere Generationen weitergegeben werden. Deshalb gebrauchen ihn heute fast nur noch ältere Menschen.
Deutscher oder Pole? Viele junge Menschen der deutschen Minderheit sind diese Frage leid. Sie sehen sich als Schlesier oder Europäer. So auch Katrin Koschny vom Bund der Jugend der deutschen Minderheit. Sie organisiert Schulungen, Workshops und Sprachkurse. Wichtig ist für sie auch der Austausch mit deutschen Minderheit aus ganz Europa.

Personen der Dokumentation

Katrin Koschny
Bund der Jugend der deutschen Minderheit
Als Ziele nennt der BJDM „die Pflege der deutschen Kultur, Sprache und Identität in Polen und die Förderung von karitativen Tätigkeiten und die Pflege freundschaftlicher Beziehungen zwischen der polnischen und der deutschen Jugend“.

Der BJDM bietet „Sprachkurse und Seminare über Kultur, Geschichte, Gesellschaft“ an, sowie „Ausflüge, Konzerte und Fortbildungsprojekte“.
Dominik Duda
Institut für Auslandsbeziehungen
Dominik Duda wurde im September 2016 nach Oppeln, Polen, entsandt, um den „Bund der Jugend der deutschen Minderheit“ bei Kultur-, Jugend- und Bildungsarbeiten zu unterstützen. Seine Aufgabe besteht in der Förderung von „interethnischen Dialog“ mit dem Ziel, dabei die „insbesondere jüngere Generation anzusprechen“.
Anna Wyrwich
Spachassistentin „Miro Deutsche Fußballschule“
Anna Wyrwich ist Vorsitzende des DFK Bodlands, einer Ortsgruppe, die zum Deutschen Freundschaftskreis im Bezirk Schlesien (DFK) gehört. Der Verband hat seinen Hauptsitz in Ratibor. Insgesamt gehören ihm 127 Ortsgruppen an.

Der DFK ist eine Organisation der deutschen Minderheit in der Woiwodschaft Schlesien. Als Ziel nennt der Verband „die Pflege der deutschen Tradition, Geschichte und Sprache“. Der DFK organisiert Sprachkurse und Kulturveranstaltungen“.
Kryspin Cieplik
Fußballtrainer „Miro Deutsche Fußballschule“
Die Idee zur Gründung der Miro Deutschen Fußballschule entstand in Chronstau nach der Weltmeisterschaft 2014. Da sich diese Region stark mit der deutschen Minderheit und der deutschen Sprache identifiziert und ein Angebot für Kinder fehlte, wurde beschlossen eine deutschsprachige Fußballschule zu eröffnen. Der Name „Miro Deutsche Fußballschule“ knüpft an den in Oppeln geborenen Fußballweltmeister Miroslav Klose an.
Blasius Hanczuch
Deutscher Freundschaftskreis im Bezirk Schlesien
Blasius Hanczuch wurde 1937 in Benkowitz bei Ratibor geboren und engagiert sich seit seiner Schulzeit für die deutsche Minderheit. Er gilt für viele Menschen als „Urgestein“ der deutschen Minderheit.
Auch heute ist Blasius weiterhin aktiv und unterstützt die Tätigkeit des DFKs. Er hat ein Museum eröffnet, in dem er Dokumente aus der Geschichte Schlesiens ausstellt, wie auch „Funde von vor mehreren Jahrtausenden“.
Paul Ryborz
Eichendorff-Kultur- und Begegnungszentrum
Paul Ryborz ist seit 2009 der Geschäftsführer des Oberschlesischen Eichendorff-Kultur- und Begegnungszentrums, das 1998 gegründet wurde.
Er ist Hauptorganisator für Eichendorff- Geburtstag- und Todestag-Gedenkfeiern und theatralische Aufführungen, Konzerte und Kulturtreffen, die mit Eichendorff in Verbindung stehen.

Lubowitz und das Eichendorff Schloss

Im kleinen 300-Einwohner Dorf Lubowitz - Łubowice auf polnisch - steht verlassen an den Hängen zur Oder eine Schlossruine aus vergangener Zeit. Sie war einst das Zuhause des berühmten deutschen Dichters Joseph von Eichendorff (1788 - 1857) und wird auch heute noch von Teilen der deutschen Minderheit als Beweis angesehen, dass der bedeutende Lyriker hier in Schlesien geboren wurde.

Durch die letzten Jahrzehnte gab es diverse Pläne von verschiedenen Seiten, die Ruine wieder aufzubauen und zu restaurieren. Das im 2. Weltkrieg zerstörte Schloss im Tudorstil, dessen Ruinen wir nun vorfinden, war aber nicht das originale Geburtshaus des Dichters. Dies ist nur eines von vielen Problemen, wenn man über einen Wiederufbau nachdenken will.

Europakarte mit Lubowitz
„Wir möchten das Schloss aufbauen nicht als Schloss während der Joseph von Eichendorff die Kindheit verbrachte oder hier geboren wurde weil das ist leider gegenwärtig unmöglich. Wir möchten das Schloss aufbauen als Beweis, das hier die Geburtstätte von Joseph von Eichendorff in Lubowitz ist.“

Paul Ryborz

Digitale Rekonstruktion in Virtual Reality

Selbst ein teilweiser Aufbau des Schlosses, der sich aktuell tatsächlich in Planung befindet, ist durch Zustimmung und Finanzierung bedingt. Da sich dieser Prozess über längere Zeit strecken kann und der Ausgang ungewiss ist, haben wir uns dazu entschlossen, die zwei historischen Versionen des Schlosses digital zu rekonstruieren und zu visualisieren.
Geburtshaus Eichendorff
1784 - 1822
Umbau im Tudorstil
1852 - 1945
Schlossruine
ab 1945
Ein Kenner dürfte sich nun die Frage stellen, was die Visualisierung mit Virtual Reality zu tun hat, da die hier gezeigten Inhalte "nur" 360° Fotos und Renderings sind. Tatsächlich liegen alle Darstellungen aber als 360° stereoskopische Aufnahmen vor, die in Kombination mit einer VR-Brille ein immersives Erlebnis mit Raumeindruck ermöglichen. Für alle, die eine solche VR-Brille besitzen, können die Daten hier heruntergeladen werden:

Eichendorff-Schloss_VR-Content.zip

Vielen Dank an dieser Stelle auch an Martin Pawlik für die Bereitstellung seiner 3D-Daten des Schlosses,
die als Orientierungspunkt für die Arbeit hier gedient haben.

Das Team

„Ewig bleiben treu die Alten“ ist die Bachelorarbeit (2018) von drei Designstudenten der TH Nürnberg Georg Simon Ohm.
Felix Bühler
Regie
Lucas Fuchs
Kamera, Schnitt
Nikolai Wüstemann
VR, Webseite

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